Inklusion braucht Mut und Möglichkeiten
Während in Kindergärten Inklusion bereits selbstverständlich ist, gestaltet sie sich nach der Grundschule schwieriger – das machte Dr. Holger Petri bei seinem Vortrag im Diakonie Klinikum Jung-Stilling deutlich.
Unter dem Titel „Inklusion vom Vorschulkind bis zum jungen Erwachsenen“ informierte der Chefarzt des Sozialpädiatrischen Zentrums der DRK-Kinderklinik unter anderem über die gesetzlichen Regelungen, wann Kinder Anspruch auf Eingliederungshilfe haben und sprach über die Besonderheiten von Inklusion und den ärztlichen Anteil bei den Übergängen vom Kindergarten, in die Schule und in den Beruf. Die Veranstaltung war Teil der Vortragsreihe „Siegener Forum Gesundheit“ und wurde von der Selbsthilfekontaktstelle der Diakonie in Südwestfalen organsiert.
Im Sozialpädiatrischen Zentrum der DRK-Kinderklinik untersucht und behandelt Chefarzt Dr. Holger Petri gemeinsam mit einem multiprofessionellen Team aus Ärzten und Therapeuten entwicklungsauffällige, beeinträchtigte und von Beeinträchtigung bedrohte Kinder und Jugendliche. Zu den Problematiken der Kinder zählen zum Beispiel Entwicklungsstörungen der Motorik und der Sprache, des Lernens, des Verhaltens und der Emotionen sowie eben auch schwere Beeinträchtigungen, zum Beispiel bei Fehlbildungen oder Schädigung des Zentralen Nervensystems. Die Ansprüche auf Eingliederungshilfe für Kinder mit Beeinträchtigung sind im Sozialgesetzbuch geregelt. Die Inklusion und Förderung beeinträchtigter Kinder und von Beeinträchtigung bedrohter Kinder verfolgt vor allem das Ziel, ihre Lebensqualität und Teilhabe zu verbessern oder zu erhalten. „Eingliederungshilfe bedeutet im Kern, den Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen“, sagte Petri. „Dabei sollen sie möglichst mobil sein, selbstständig, kommunikationsfähig und soziale Kontakte erleben können.“ Kinder sollten sich körperlich, seelisch und in ihrer sozialen Entwicklung ihren individuellen Möglichkeiten entsprechend entfalten können.
Zahlreiche Eltern haben den Wunsch, dass ihr Kind trotz Beeinträchtigung eine Kindertagesstätte am Wohnort besuchen kann – dies gelingt häufig mit Unterstützung im Rahmen der Eingliederungshilfe. „Kinder lernen zum großen Anteil durch ihre Umwelt. Wenn Kinder mit und ohne Beeinträchtigung gemeinsam spielen und lernen, dann kann das Zusammenleben für alle anregend und spannend“, erklärte Petri. Damit die gemeinsame Betreuung von Kindern mit und ohne Beeinträchtigung gelinge, müsse das Team der Kita aber gut vorbereitet sein und durch zusätzliche Integrationskräfte unterstützt werden. Für Kinder mit Anspruch auf Eingliederungshilfe gibt es darüber hinaus die Möglichkeit, in teilstationären Tageseinrichtungen oder heilpädagogischen Kindergärten betreut zu werden. Für sämtliche Betreuungsformen ist in der Regel eine ärztliche Stellungnahme erforderlich. „Dabei sind der bisherige Entwicklungsverlauf sowie der aktuelle Entwicklungsstand zu berücksichtigen, die Bewegungssicherheit und die Kommunikationsfähigkeit, die Selbstständigkeit oder auch die Verhaltensregulation – im Einzelfall auch medizinische Bedarfe“, erklärte der Experte.
Petri betonte: „Kinder und Jugendliche mit Beeinträchtigungen benötigen auch nach dem Eintritt in die Schule ein sehr hohes Maß an individueller Förderung.“ Wenn die Beeinträchtigungen so umfassend sind, dass ein sonderpädagogischer Förderbedarf festgestellt wird, können die Kinder in speziellen Förderschulen oder im Rahmen der Inklusion im „Gemeinsamen Lernen“ der allgemeinen Schule unterrichtet werden. In Nordrhein-Westfalen entscheidet dabei der Elternwille. Mit Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention vor mehr als 15 Jahren habe sich einiges getan, wie zum Beispiel die Bewegung hin zu einem inklusiven Angebot in immer mehr Schulen. Dabei gilt: Gelingende Inklusion braucht Personal, Räume, Mittel und Wissen. Ob für ein Kind der Unterricht in einer Grundschule mit Integrationshelfer oder in einer Sonderpädagogischen Schule in Frage kommt, bedarf einer individuell angepassten Entscheidung. Zur Ermittlung des geeigneten Förderorts sind dabei einige Fragen zu klären: Was braucht dieser Schüler? Wo kann dies wirksam angeboten werden?
Petri betonte: „Inklusion braucht Mut, Kraft, Zeit, Geld und Sachverstand – das heißt personelle, räumliche und sächliche Voraussetzungen. Das steht und fällt auch mit der Bereitschaft, der Belastbarkeit und der Befähigung aller Beteiligten.“
Vor allem im Berufsleben sieht der Mediziner noch Herausforderungen. Die meisten Menschen mit Beeinträchtigung arbeiten in Werkstätten und haben wenig Möglichkeiten, auf dem herkömmlichen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Petri freut sich daher über jeden mutigen Schritt regionaler Unternehmen, mit Kreativität und individuellen Lösungen, Inklusion auch auf dem Arbeitsmarkt und in beruflicher Bildung zu ermöglichen.